DIE ENTSTEHUNGS-GESCHICHTE:
VOM URKNALL
BIS ZUR OFFENBARUNG
Sunflower Evolution:
Wie eine Straße in den Himmel wächst
Willkommen in der Schützenhofstraße!?
„Waaas Du wohnst in dieser Straße?“, fragte mich unlängst eine linksrheinisch wohnhafte Kollegin. Ja, dort wohne ich und zwar sehr gerne.
Ich bin 26 Jahre alt, habe bis vor kurzem in den Niederlanden „Social Design“ studiert und ein Partizipationsprojekt für einen Stadtteil von Eindhoven entworfen. Woensel-West, so hieß er, würde man hierzulande nach Baugesetzbuch § 171e als „schwieriges“ Quartier mit den bekannten Problemen, aber auch Potentialen bezeichnen. Wie Mülheim. Die Nachbarschaft der Schützenhofstraße verkörpert geradezu idealtypisch das „Veedel“. Der Teil steht für das Ganze. Für mich ist diese Straße wie ein Labor, das eine Vielzahl von Herausforderungen in sich birgt.
Kerne haufenweise und ein Imageproblem
Meine Kollegin wusste noch mehr. „Meiner“ Straße, einem wertvollen, denkmalgeschützten und gründerzeitlichen Gebäudeensemble in Blockrandbebauung, hafte ein Imageproblem an. Dabei spielte sie weniger an auf die Versuche politisch rechter „Informationsdienste“ im Internet, die Schützenhofstraße neben der Keupstraße als zweiten kriminellen Hotspot Mülheims vorzuführen. Vielmehr verwies sie auf das Sichtbare, die „Eckensteherkultur der Bulgaren“ beim Schützenhof und die Berge von Sonnenblumenschalen, die deren Revier in der „Gipsy-Straße“ markierten.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Als Neuzugezogene sehe ich „meine“ Straße etwas anders und schon gar nicht rassistisch. Für mich bildet sie ein eigenartiges und kurioses Kraftfeld, geprägt von zwei Polen, die auch zwei Stereotypen sind:
„Vorne“ zur Berliner Straße hin die scheinbar! in sich geschlossene Gesellschaft der Kerne-Knacker.
„Hinten“ zur Hacketäuer Straße hin die Bevölkerung mit einer eher kreativen und „studentischen“ Nach-68er-Lebensweise, wo die industriell von ihrer Schale befreiten Sonnenblumenkerne schon morgens übers Müsli gestreut werden.
Das große Potential des kleinsten Nenners
Mit anderen Worten: Die Sonnenblume und ihr Kern sind der kleinste erkennbare Nenner, den die Nachbarschaft der Schützenhofstraße teilt. Liegt darin nicht ihr Potential? Sonnenblumen setzen positive Signale. Die in großer Vielfalt vorkommende Pflanze steht weltweit für Gemeinschaft, Aufbruch und Neubeginn. So wie die Kinder des Viertels für ein besseres Leben stehen. Daraus kann und muss man etwas machen.
Das Projekt: Lasst 1000 Sonnen-Blumen blühen - eine Intervention im September 2020
Das Ziel: Kernenergie freisetzen
Mein Projektvorschlag zielt auf eine Aktion von hoher symbolischer und medialer Strahlkraft. Er gründet auf einer Mischung aus Kommunikations-Design, Konzeptkunst und Bildung. Eine eigene, fortlaufende und in einem Ko-Projekt zu beantragende filmische Dokumentation und die Begleitung durch die sozialen und lokalen Medien sind unverzichtbarer Bestandteil der Aktion. Sie soll einen Eindruck hinterlassen.
„Place Making“: Für einen Tag soll der Raum der Schützenhofstraße von den Kindern des Viertels in eine florale Installation von 1000 Sonnenblumen verwandelt werden.
Symbolische Aktionen lösen keine Strukturprobleme in „schwierigen“ Vierteln. Aber sie können helfen, Identifikationen mit dem eigenen Wohnort zu bilden. Noch viel mehr können sie dazu beitragen, spielerisch, theatralisch Platz zu schaffen für einen neuen Blick und für neue Perspektiven auf und für das Leben im Veedel. Das Quartier und der öffentliche Raum erscheinen als etwas, das nicht mehr unveränderlich vorgegeben, sondern veränderbar ist.
Ein Ort mit neuen Möglichkeiten: Kinder als Botschafter
Der Reichtum des Viertels sind seine Kinder. 20% der Bewohner sind jünger als 18 Jahre. Auch die Zahl Alleinerziehender liegt deutlich über dem statistischen Kölner Mittel. In der allgemeinen Bildungsstatistik schneidet Mülheim schlecht ab. Zu wenige Kinder erreichen die Hochschulreife. Dem Stadtteil fehlt es an Grün. 2/3 des Veedels sind versiegelt. Weniger als 3! Quadratmeter Grünfläche stehen pro Einwohner zur Verfügung. Das ist ein absoluter Kölner Negativrekord!
Kinder sind offene und lernbegierige Wesen, geborene Grenzgänger und oft wahre Energiebündel. Sie spielen als tätige Akteure, Paten und Botschafter der Aktion von Anfang an eine zentrale Rolle. Je mehr Kinder aus dem Veedel zusammen kommen und mitmachen, desto besser!
Doch Kindheit in prekären Verhältnissen, so belegen Untersuchungen der Kindheitsforschung, ist überschattet von einem deutlichen Mangel an positiven Anregungen und Bildung. Den oft auf dem sekundären Arbeitsmarkt beschäftigten Eltern fehlt es an Zeit, Geld und Motivation, mit ihren Kinder etwas zu unternehmen. Prekäre Kindheit heißt, physisch und mental dem Kirchturmhorizont des Stadtteils und der eigenen ethnischen Gemeinschaft verhaftet zu bleiben. Diese Feststellung gilt für „deutsche“ Kinder ebenso wie für Kinder Zugewanderter.
KinderUni: Kinder werden zu
Sonnenblumenexperten
Kinderunis sind ein guter Weg, eine gute Methode, um dies zu durchbrechen und Kinder als Akteure zu gewinnen. Aus der Kindheitsforschung weiß man, wie begeistert Kinder aus benachteiligten Stadtteilen auf die Angebote von Kinderunis reagieren. An diese Erfahrungen möchte ich anknüpfen. Für besser situierte Kinder mag der Besuch einer solchen Lehr-Veranstaltung nur eine Facette aus einem großen Angebot an kulturellem Entertainment und „Bildungskapital“ darstellen. Für benachteiligte Kinder erschließt der Besuch einer Kinderuni neue Welten und Rollen. Pflanzenphysiologie, also die Frage, wie Pflanzen „denken“ und „fühlen“ und – wie die Kinder selbst- versuchen, mit vielerlei Strategien mit ihrer Umwelt klarzukommen, kann ungemein spannend und anregend sein.
Gerade die Sonnenblume mit ihren vielfältigen Sensorien und Tropismen ist ein ideales Lehr-Beispiel, um die Neugier von Kinder zu wecken. Kinder können dabei erfahren, wie vielschichtig, sensibel und zugleich gestalt- und entwickelbar Lebenswelten sind – gleichgültig, ob es sich um natürliche oder um menschliche Gemeinschaften handelt.
Eigener Anbau: eine Erzeuger-
gemeinschaft bilden
Das Erfahrungsexperiment hat auch eine praktische und aktivierende Seite. Living Lab: Die Kinder ziehen selbst über mehrere Wochen Sonnenblumen und lernen unter fortlaufender gärtnerischer Betreuung, wie man mit Pflanzen umgeht. Sie bringen die Samen zum Keimen, topfen die Setzlinge in größere Gefäße um und begleiten ihr Wachstum bis zur Blüte. Dann, im September schließlich versammeln sich die Veedel-Kinder und Angehörigen mit ihren Sonnenblumen zum großen Finale in der Schützenhofstraße.
Das große Finale
Dann laufen die Kinder zur Höchstform auf. Geplant und beantragt für das Finale ist Sonntag, der 13. September 2020. Die Kinder zeigen, was sie können und gemeinsam geschafft haben. Die schlauchartige Tristesse der Straße verwandelt sich auf magische Weise einen Tag lang in eine große Bühne. In den ansonsten mit Autos vollverstopften Parkstreifen säumen die Pflanztöpfe mit den Sonnenblumen die Fahrbahn. Auf dem Asphalt rollen die Kinder ihrer Straße einen Blumenteppich aus. Blumen und Blumenteppiche sind in allen Kulturen der Welt ein Zeichen des Willkommenseins und der Gemeinschaft und der Zukunft. Zukunft und Gemeinschaft brauchen Symbole, die sie förmlich verkörpern. Der Sonnenblumenkern als kleinster Nenner dieser Gemeinschaft wird zu ihrem größten. Die Perspektive der relativ engen Straßenflucht läuft am Ende auf ein Kunst-Werk zu, einen überdimensionierten Sonnenblumenkern. Wer will, darf dieses Bühnenbild als Verneigung, als Hommage an den chinesischen Sonnenblumenkern-Künstler Ai Wei Wei sehen, der kürzlich in der Düsseldorfer Kunsthalle zu bewundern war. Oder als Zitat. Sonnenblumen und andere florale Motive finden sich auch als Fassadenschmuck in der Straße wieder. Oder steckt hinter der Aktion am Ende eine augenzwinkernde Anspielung auf die kuriose körner-kulturelle Vielfalt im „Kiez“? Wer sagt, dass Projekte von sozialer Bedeutung immer von bleischwerem Ernst getragen sein müssen? Aber Türen öffnen solche Installationen allemal. Und sie werden das Viertel in einem neuen (Sonnen-) Licht erscheinen lassen.